Der Therapeut muss einen neuen Patienten zuerst kennen lernen, bevor behandelt werden kann. In einem Erstgespräch verschafft er sich einen Eindruck von den Lebensumständen des Patienten. Er versucht, die Entwicklungsgeschichte des Menschen, der nun vor ihm sitzt, nachzuvollziehen. Daraus lässt sich dann erahnen, wie sich Symptomatiken entwickelt haben mögen. Ebenso wichtig ist auch, dass der Patient seinen Symptomen und seinem Gefühl von Unwohlssein Raum geben kann. Der Name der Krankheit interessiert den Therapeuten wenig, sondern viel mehr, wie erlebt dieser Patient seine individuelle Erkrankung. Es ist die gemeinsame Suche nach dem Menschen, der sich hinter dem Wort Patient verbirgt. Wer ist mein Patient wirklich, was lebt er aus und was fehlt ihm, um ausgeglichen und glücklich zu leben?
Die indianische Schamanin Oriah Mountain Dreamer drückt es so aus:
Es interessiert mich nicht, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst.
Es interessiert mich nicht, wie alt du bist.
Es interessiert mich nicht, welche Planeten im Quadrat zu Deinem Mond stehen.
Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte, die du erzählst, wahr ist.
Es interessiert mich nicht zu erfahren, wo du lebst und wie viel Geld du hast.
Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du gelernt hast.
Aus diesen Informationen, gemeinsam mit den Befunden durch die diagnostischen Techniken lässt sich dann eine Behandlungsstrategie entwickeln.
Mit den Diagnosemethoden der Chinesischen Medizin sind Störungen im
Organismus oftmals bereits erkennbar, bevor sie sich endgültig als Krankheit
manifestieren.
Jede Akupunkturtherapie muss mit Hilfe gründlicher Pulsdiagnose
durchgeführt werden, denn die umfassende Kenntnis des körperlichen
und seelischen Gesamtzustandes ist Voraussetzung, um auf dieser Basis
die Akupunkturpunkte speziell für jeden Patienten wirksam auszuwählen
und erfolgreich einzusetzen. Die Veränderung der Pulsqualität während der Behandlung gibt Aufschluss, ob die Behandlungsstrategie des Therapeuten korrekt ist. Eine Akupunkturbehandlung ist dann erfolgreich beendet, wenn alle Pule in ihrer Qualität miteinander wieder in Harmonie sind.
Zusätzlich eingesetzt wird die sog. Hara-Diagnose der Bauchdecke. Krankhafte Fülle oder Leere im Energiesystem zeigt sich an einer tastbaren Empfindlichkeit oder Veränderung an entsprechenden Hautzonen. Auch die Veränderungen der Haut und des Gewebes entlang der Leitbahnen am ganzen Körper führt uns auf die Spur der Entstehungsgeschichte Ihrer Erkrankung.
Während die Pulsdiagnose den aktuellen Status des Patienten widerspiegelt, erkennt der Therapeut anhand der Zungendiagnose eher langfristige Zustände, die zur Auswahl der Kräutermedizin wichtig sind. Dabei wird Form und Farbe des Zungenkörpers und des Zungenbelages beurteilt. Stark färbende Lebensmittel wie Kaffee, Tee, Nikotin, Lakritze und rote Beete verfälschen hierbei das Bild. Die Zunge ist für den Kräutertherapeuten das wichtigste Diagnostikum, für mich liefert sie zusätzliche Information.
Viel stärker, als wir das von unserer Medizin kennen, setzt der Therapeut
in der Chinesischen Medizin vor allem aber seine Sinne ein:
Durch intensives Betrachten, Hören, Riechen, Erfragen und Tasten
kommt er zu einer umfassenden Diagnose und individueller Betrachtung des Gesamtzustandes. Persönliche
Empfindungen und die Gefühlswelt des Patienten bezieht er dabei ebenso ein
wie das physische Erscheinungsbild sowie akute und chronische Krankheitssymptome. Dieses aktive Zuhören und genaue Beobachten machen den entscheidenden Unterschied aus zwischen dem Handwerk und der Heilkunst.